Sabbatical für alle Erwerbstätigen

– das Grundeinkommensjahr –

Ein Vorschlag von Ronald Blaschke (Netzwerk Grundeinkommen) und Ulrich Schachtschneider (Unconditional Basic Income Europe) *

7. August 2024

Die Grundidee

Die Idee eines allgemeinen bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) als grundlegende Reform des Sozialstaates ist nach etwa 20 Jahren in der öffentlichen Debatte angekommen. Einer Mehrheit in der Bevölkerung, Politik und Wissenschaft ist klar, was damit gemeint ist: Eine regelmäßige monatliche – individuell garantierte – Zahlung in Höhe des Teilhabeminimums an alle hier wohnenden Bürger*innen – ohne eine Prüfung der Bedürftigkeit, ohne andere Bedingungen, als eine nicht verhandelbare Absicherung der gesellschaftlichen Teilhabe. Argumente dafür sind in der Debatte aus unterschiedlichster sozialphilosophischer und politischer Richtung ausführlich benannt worden: Ein Grundeinkommen kann als Entbürokratisierung des Sozialstaats, als Armutssicherung, als Befreiung der Arbeit (mehr Wahlmöglichkeit), als Kreativitätsspritze („mach dein Ding…“), als Sicherheit in der ökologischen Transformation etc. begründet werden. Umfragen ergeben regelmäßig, dass etwa die Hälfte der Befragten in Deutschland der Idee zustimmt. Zudem gibt es inzwischen eine Reihe von Pilotprojekten und Grundeinkommensversuchen, bei denen viele der theoretisch hergeleiteten positiven Wirkungen nachgewiesen werden konnten.

Dennoch scheint das politische Moment zur Einführung dieser Reform sich eher im Stillstand zu befinden. Dies liegt einerseits an der Wirkmächtigkeit der wesentlichen Gegenargumente: Ein Grundeinkommen sei unfinanzierbar, zudem würde keiner mehr arbeiten wollen. Angesichts der aktuell verschärften Politik der Knappheit öffentlicher Haushalte einerseits und des Fachkräftemangels andererseits erscheinen diese Einwände aktuell noch gravierender.

Dazu kommt, dass Bürger*innen ebenso wie Politiker*innen spüren, dass ein BGE ein Riesen-Sprung wäre, mit dem sich viele Gewohnheiten und Praxen ändern könnten: der Charakter und die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit, die entstehenden/geforderten Preise sowohl für Erwerbsarbeit als auch für Güter und Dienstleistungen, das Konsumverhalten, die Sinnsetzungen für ein „gutes Leben“ und vieles mehr. Dies führt verständlicherweise zunächst zu großer Unsicherheit: Funktioniert am Montagmorgen nach der BGE-Einführung noch alles? Diese Sorgen haben auch viele, die das Grundeinkommen vom Grunde her richtig finden. Der Idee droht damit, reine Utopie zu bleiben, trotz durchaus vorhandener gesellschaftlicher Mehrheiten und vieler positiver Wirkungen. Angesichts dieses politischen „Stillstands“ entwickeln wir daher hier einen Politikvorschlag, der das Grundeinkommen zunächst zeitweise im Leben eines Menschen einführt: Die „Grundeinkommensjahre“

So soll es funktionieren

Das Grundprinzip besteht darin, dass jede/r dreimal innerhalb des Erwerbslebens das Recht auf ein Grundeinkommensjahr hat. Wofür dieses Jahr verwendet wird, ob für Weiterbildung, Muße, Familie, Pflege, Engagement etc., ist jeder und jedem gemäß dem Freiheitsprinzip des Grundeinkommens selbst überlassen. Einzige Bedingung ist, dass nicht gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachgegangen wird. Das Recht auf ein solches Grundeinkommensjahr erhalten alle Erwerbstätigen nach 12 Jahren Erwerbstätigkeit, inklusive Anrechnungszeiten für Kinderbetreuung, (Aus-) Bildung, Erwerbslosigkeit o. ä. Das Grundeinkommensjahr wird steuerfinanziert. Das ist der Unterschied zu vorhandenen Modellen, bei denen für ein Sabbatjahr individuell Erwerbseinkommen angespart werden muss. Die Sozialversicherungsbeiträge werden ebenfalls übernommen, damit die Kranken-/Pflegeversicherung weiterläuft und kein Nachteil bei der Rente entsteht. Nach diesem Jahr gibt es eine gesetzlich garantierte Rückkehr-Option an den alten Arbeitsplatz. Um sicherzustellen, dass nicht in einigen Betrieben zu viele Arbeitnehmer*innen gleichzeitig das Grundeinkommensjahr nehmen und damit den Fortbestand des Betriebes gefährden, dürfen nicht mehr als 10% der Arbeitnehmer*innen eines Betriebes dieses gleichzeitig nehmen.

Ohne an anderer Stelle im Bundeshaushalt zu kürzen, ist die Einführung von Grundeinkommensjahren zunächst in Deutschland umsetzbar. Die Finanzierung könnte durch eine Vermögensabgabe erfolgen. Erste Berechnungen haben ergeben, dass das nötige Finanzierungsaufkommen von maximal jährlich 124 Mrd. Euro (für den Fall, dass alle Berechtigten es alle 12 Jahre in Anspruch nehmen) in etwa dem mittleren Zuwachs an privaten Vermögen in Deutschland in den letzten Jahren entspricht (siehe Anlage Kosten und Finanzierung).

Aber auch Modelle auf europäischer Ebene sind denkbar. So könnten die stark steigenden Einnahmen aus dem erweiterten europäischen Emissionshandel (EU ETS) dafür verwendet werden, Grundeinkommensjahre für alle in der EU Lebenden mit zu finanzieren.

Was bringt es uns?

Jede und jeder, die bzw. der ein Grundeinkommensjahr in Anspruch nimmt, hat vielfältige Möglichkeiten diese materielle Absicherung zu nutzen: Sie kann für (Weiter-)Bildung, berufliche Umorientierung, fürs Ausspannen, fürs politische oder bürgerschaftliche Engagement oder für Nachbarschaftshilfe, für Familien und Sorgearbeit, fürs Hobby, für kulturelle Aktivitäten und für ausreichend Mußezeit genutzt werden. Erfahrbar wird, dass es neben der Erwerbsarbeit viele gesellschaftlich notwendige und sinngebende Aktivitäten gibt, die im Rahmen freier Zeitverfügung und einer ausreichenden materiellen Absicherung unternommen werden können. Insbesondere für unter starkem Zeitdruck arbeitende Erwerbstätige, die wenig Zeit für anderes haben und u. U. Gesundheitsgefährdungen und -schädigungen ausgesetzt sind, dürfte das Grundeinkommensjahr eine Phase des Auftankens, Erholens und möglicherweise auch der persönlichen Neuorientierung und Sinnfindung bedeuten.

Die Ermöglichung einer materiell abgesicherten Auszeit für alle dürfte ein höheres Gerechtigkeitsgefühl in der Gesellschaft befördern – denn nicht nur die, die es sich leisten können, hätten dann diese Möglichkeit. Eine Stärkung des Vertrauens in Politik und gesellschaftliche Institutionen könnte eine Folge sein. Es ist auch anzunehmen, dass Gesundheitsgefährdungen und -schädigungen, die durch Überarbeitung, Zeitdruck usw. bedingt sind, abnehmen, die dadurch entstehenden gesellschaftlichen Gesundheitskosten also minimiert werden. Die gesellschaftlichen Kosten für Erwerbslosigkeit werden durch ein Grundeinkommensjahr ebenso minimiert, weil freiwerdende Arbeitsplätze Erwerbslosen, verbunden mit entsprechenden Qualifizierungen, angeboten werden können. Das Grundeinkommensjahr macht aber auch deutlich, dass andere Tätigkeits- und Engagementformen – ebenso ausreichend Mußezeit – gesellschaftlich gleichwertig und gewünscht sind, deswegen auch gesellschaftlich materiell abgesichert und zeitlich ermöglicht werden.

Anlage: Kosten und Finanzierung

Wie ergeben sich die derzeit 124 Milliarden Euro jährlich an Finanzbedarf fürs Grundeinkommensjahr und wie werden sie finanziert?

Schritt 1 Anzahl der Grundeinkommen im Jahr Beziehenden

Die potenzielle Bevölkerungsgröße, welche das Grundeinkommen simultan beziehen würde, beläuft sich unter Einbezug der 30-, 42- und 54-Jährigen auf 3.264.000 Personen für das Jahr 2024.[1]

30-jährige: 481.000 Frauen, 517.000 Männer (998.000 Personen)

42-jährige: 545.000 Frauen, 549.000 Männer (1.094.000 Personen)

54-jährige: 588.000 Frauen, 584.000 Männer (1.172.000 Personen)

Gesamt: 3. 264.000 Personen

Schritt 2 Höhe des Grundeinkommens

Das Grundeinkommen, das alle 12 Jahre ein Jahr bezogen werden kann, soll derzeitig eine Höhe von 1.500 Euro netto monatlich haben. Das entspricht in etwa den Armutsrisikogrenzen, hochgerechnet auf das Jahr 2024, und dem untersten Pfändungsfreibetrag 2024.

Die Nettoauszahlung des Grundeinkommens ergibt einen Finanzbedarf in Höhe von rund 58,8 Mrd. Euro jährlich.

Schritt 3 Sozialversicherungsbeiträge

a) Kranken- und Pflegeversicherung

Der Betrag für die Kranken- und Pflegeversicherung soll bezogen auf einen Durchschnittsbruttoverdienst Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigter von 3.333 Euro übernommen werden.

Das Durchschnittseinkommen für Vollbeschäftigte betrug im Jahr 2021 ca. 4.100 € Brutto, werden diejenigen in Teilzeit mit berücksichtigt, betrug das Durchschnittseinkommen ca. 3.333 € Brutto (Stand 2022).[2]

Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung liegt bei 14,6 % vom Brutto (paritätisch eingezahlt). Der aktuelle durchschnittliche Zusatzbeitrag liegt bei 1,51 % vom Brutto. Der Gesamtbeitrag liegt somit bei 16,11 %.

Das bedeutet einen Finanzbedarf von 21,0 Mrd. Euro jährlich.

Der Beitragssatz der Pflegeversicherung liegt derzeit bei 3,4 % des Bruttoeinkommens, bei Kinderlosen bei 4 %.

Ca. 30 % der Bevölkerung sind kinderlos. Innerhalb der Gruppe der Grundeinkommensbezieher*innen wird die gleiche Verteilung unterstellt, daher berechnen sich die Beiträge zur PV unterschiedlich.[3]

PV-Beitragsübernahme:          2.284.800 Personen mit 3,4 %, rund 3,1 Mrd. Euro
jährlich

979.200 Personen mit 4 %, rund 1,6 Mrd. Euro
jährlich

Das ergäbe einen jährlichen Finanzbedarf von 25,7 Mrd. Euro jährlich für KV/PV.

b) Rentenversicherung

Der aktuelle Rentenbeitrag liegt bei 18,6 % vom Bruttoverdienst (paritätisch eingezahlt). Somit ergibt sich ein Finanzierungsbedarf bezogen auf den Bruttodurchschnittsverdienst (3.333 Euro) von rund 620 Euro monatlich.

Das ergäbe einen jährlichen Finanzbedarf von rund 24,3 Mrd. Euro jährlich.

Schritt 4 Kompensation Ausfall Einkommensteuer

Da auf das Netto-Grundeinkommen keine Einkommensteuer erhoben wird und die 3,264 Mio. Personen nicht erwerbstätig sind, müssen Ausfälle bei der Einkommenssteuer berücksichtigt werden. Bei einem durchschnittlichen Einkommen von 3.333 € kommt eine monatliche Lohnsteuerschuld von ca. 393 € zustande (Steuerklasse 1)

Das ergäbe ein nötiges jährliches Kompensationserfordernis von 15,4 Mrd. Euro
(3.264.000 x 393 x 12 = 15.393.024.000 €)

Schritt 5 Gesamtfinanzbedarf

Der jährliche Gesamtfinanzbedarf beträgt rund 124 Mrd. Euro jährlich.

Finanzierung

Die jährlichen Kosten von maximal 124 Mrd. Euro können zum Beispiel aus den abzuschöpfenden jährlichen Vermögenszuwächsen des Geldvermögens (hier: Bargeld und Einlagen) von privaten Haushalten und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck finanziert werden. Deren Zuwächse betrugen in den letzten drei Berichtsjahren 2020, 2021, 2022 zwischen 214 und 116 Mrd. Euro.[4] Wobei der Anteil der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck am Gesamtgeldvermögen nur verschwindend gering ist. Das heißt, das Grundeinkommensjahr wird insbesondere durch private Haushalte mit hohen und sehr hohen Zuwächsen an Bargeld- und Einlagevermögen finanziert – ohne dabei an Geldvermögen einzubüßen. Sie leisten damit einen zumut- und verkraftbaren Beitrag für mehr Gerechtigkeit und für mehr Vertrauen in Politik und gesellschaftliche Institutionen.

Quellen

[1] https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/#!y=2024&v=2

[2] https://de.statista.com/themen/293/durchschnittseinkommen/#topicOverview

[3] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/94130/bc0479bf5f54e5d798720b32f9987bf2/kinderlose-frauen-und-maenner-ungewollte-oder-gewollte-kinderlosigkeit-im-lebenslauf-und-nutzung-von-unterstuetzungsangeboten-studie-data.pdf

[4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Publikationen/Downloads-Vermoegensrechnung/vermoegensbilanzen-pdf-5816103.pdf?__blob=publicationFile

* Die Nennung der Organisationen erfolgt nur zur Information bzgl. des Engagementbereiches der Autoren. Beim Vorschlag handelt es sich um eine Privatinitiative der Autoren.

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