Grundeinkommen und Engagement von Bürger*innen
Mit ihrem Engagement leisten Bürger*innen einen gemeinwohlorientierten Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft und des Öffentlichen.[i] Das Engagement fördert den sozialen Zusammenhalt und soziale Integration. Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ hat im Jahr 2002 eine Begriffsbestimmung vorgelegt: Eine Tätigkeit ist demnach dann als bürgerschaftliches Engagement zu bezeichnen, wenn sie die folgenden fünf Kriterien erfüllt:
Diese Tätigkeit ist
„- freiwillig,
– nicht auf materiellen Gewinn gerichtet,
– gemeinwohlorientiert,
– öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt und
– wird in der Regel gemeinschaftlich/kooperativ ausgeübt.“[ii]
Es werden förderliche Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement diskutiert. Sie werden auch als Strukturmerkmale von Gesellschaften beschrieben, die eine starke Zivilgesellschaft ermöglichen. In den zentralen Ergebnisse des Zweiten Engagementberichts des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom Jahr 2016 wird festgestellt: „Für Europa lässt sich empirisch nachweisen, dass politisches und freiwilliges Engagement am ehesten in Gesellschaften mit einem hohen Maß an sozialer, wohlfahrtsstaatlicher Absicherung sowie umfangreichen politischen Mitspracherechten zu finden sind.“[iii]
Damit sind bereits zwei konkrete wesentliche Strukturmerkmale einer Gesellschaft beschrieben, die das Engagement der Bürger*innen befördern: soziale Sicherheit und politische Teilhabemöglichkeit. Aus meiner Sicht gehören dazu weiterhin die Sicherstellung einer Infrastruktur für das Engagement (Orte, Räume, technische Ausstattung) und eine umfassende Bildung, die die Ideale und das know how des Engagements von Bürger*innen vermittelt.
Im Folgenden möchte ich begründen, warum das Grundeinkommen ein wichtiges Instrument ist, dass das Engagement von Bürger*innen wesentlich befördert.
Grundeinkommen
Das Grundeinkommen ist eine Geldleistung an alle Menschen, die ohne eine sozialadministrative Überprüfung der Bedürftigkeit und ohne einen Zwang zur Arbeit oder zu einer Gegenleistung, individuell die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichern soll. Diese vier Kriterien kennzeichnen das Grundeinkommen als bedingungslos.[iv] Das Grundeinkommen ist nicht irgendeine Sozialleistung des Staates an Bedürftige. Sie ist eine Leistung, die allen Bürger*innen durch alle Bürger*innen zugestanden wird (zum Beispiel durch eine Volksabstimmung, eine im breiten Konsens getragene Gesetzgebung usw.): Alle Mitglieder eines Gemeinwesens gestehen jeder und jedem zu, ohne jegliche Bedingungen über die materiellen Mittel zur grundlegenden Sicherung der Existenz und zur Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe zu verfügen. Der Staat gilt als exekutierende Gewalt, der dies absichert – ermächtigt und beauftragt von den Bürger*innen.
In Deutschland wurde das Grundeinkommen erstmalig im Jahr 1982 von unabhängigen Erwerbsloseninitiativen gefordert, Mitte der Achtziger in der grün-alternativen Bewegung. Seit der Einführung von Hartz IV[v] ist die Debatte um das Grundeinkommen aus der Öffentlichkeit in Deutschland nicht wegzudenken. 2004 wurde das bundesweite Netzwerk Grundeinkommen gegründet. Auch weltweit und in Europa findet das Thema Grundeinkommen Beachtung. Bereits 1986 bildete sich das Basic Income European (heute Earth) Network, 2014 das europäische Netzwerk Unconditional Basic Income Europe (UBIE).
Warum könnte ein Grundeinkommen das Engagement der Bürger*innen befördern?
1. Warum ist überhaupt eine materielle Existenz- und Teilhabesicherung für das Engagement von Bürger*innen nötig? Es ist einsichtig, dass, wenn man nicht über ausreichende materielle Mittel verfügt oder sich geradeso existenziell über Wasser halten kann, objektiv die Engagement- und Teilhabemöglichkeit nicht oder nur unzureichend gegeben ist. Es ist auch bekannt, dass Menschen mit geringem Einkommen weniger bürgerschaftlich engagiert sind. Manchmal fehlt es schon am Geld für eine Fahrkarte zum Treffen oder für eine Glas Bier nach der Vereinssitzung.
Warum nun aber eine bedingungslose Existenz- und Teilhabesicherung? Bedingungen bezüglich der grundlegenden Existenz- und Teilhabesicherung würden Herrschafts- und Hierarchieverhältnisse zementieren, die einer Gesellschaft von freien und gleichen Bürger*innen entgegenstehen. Die bedingungslose Absicherung der Existenz und Teilhabe der Menschen verweist dagegen auf eine angestrebte Gesellschaft, in der sich jede und jeder frei von jeglicher materiell bedingter Erpressbarkeit und Zwangsverhältnissen autonom in das öffentliche Geschehen einbringen kann. Autonome Handlungsfähigkeit meint allerdings nicht Unabhängigkeit – niemand ist unabhängig von anderen Menschen. Denn Voraussetzung der Autonomie ist, dass sie sich die Menschen gegenseitig diese Autonomie zugestehen. Wenn eine Gesellschaft nun ein Grundeinkommen einführt, wird damit auch eine grundsätzliche Anerkennung eines jeden Menschen als autonome Bürger*in, eine Anerkennung der Würde und des unbedingten Werts eines jeden Menschen materiell bestätigt. Diese gleiche Anerkennung jedes Menschen als autonome Bürger*in ist Essential einer Gesellschaft, die alle Menschen ermöglichen will, sich frei in die öffentlichen Angelegenheiten einzumischen.
2. Das Grundeinkommen ermöglicht damit auch das tatsächlich freiwillige Engagement, die tatsächlich freiwillige Übernahme von Aufgaben. Die Aktivität ist eben nicht aus Gründen des Erwerbs der materiellen Mittel zum Überleben (oder aus Gewinngründen) notwendig bzw. erzwungen. Sie führt nicht in daraus resultierende Abhängigkeiten, Zwangssituationen und Unterordnungsverhältnisse. Deshalb ist es immer wieder wichtig, eine klare Grenze zwischen Aktivitäten mit Erwerbs- oder Gewinnzwecken und freiwilligem Engagement zu ziehen.
3. Das Grundeinkommen ermöglicht nicht nur materiell das autonome öffentliche Engagement, sondern verschafft den Bürger*innen auch die für dieses Engagement nötigen Zeitressourcen. Denn die Teilnahme an der Ausgestaltung öffentlicher Angelegenheiten kostet Zeit – Zeit wie auch die Erwerbsarbeit, die unbezahlte Sorgearbeit (unbezahlte Betreuungs-, Erziehungs-, Pflegearbeit) oder die Eigenarbeit in den eigenen vier Wänden oder im Garten. Wer Kinder, zu pflegende Angehörige und einen Vollzeit-Job hat, dem fehlt die Zeit fürs Engagement oder er ist ständig unter Zeitdruck.
Wir wissen aus verschiedenen Umfragen, dass ca. ein Fünftel bis über ein Drittel das Grundeinkommen nutzen würde, um die Erwerbsarbeitszeit zu verkürzen.[vi] Die Ergebnisse einer Schweizer Umfrage zeigen, dass bei einem eingeführten Grundeinkommen eine knappe Hälfte der Befragten (mehr) Freiwilligenarbeit leisten und ein Viertel sich (mehr) politisch engagieren würde.[vii] In Seminaren zum Grundeinkommen wird oft auch erwähnt, dass man mit Grundeinkommen von einer aus Einkommensgründen notwendigen Verlängerung der Arbeitszeit absehen würde. Denn das Grundeinkommen ist bereits eine grundlegende materielle Absicherung, so dass auch mit einer verkürzten oder mit einer kurzen Erwerbsarbeit der angestrebte Lebensstandard erreicht werden kann: Denn das Gesamteinkommen setzt sich aus Grund- und Erwerbseinkommen zusammen. Durch die arbeitszeitreduzierende Wirkung des Grundeinkommens kann darüber hinaus ein positiver arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Effekt erzielt werden, der sich auch förderlich auf das Engagement von Bürger*innen auswirken würde: Die frei werdenden Erwerbsarbeitszeit- und Einkommensmöglichkeiten können unfreiwillig Erwerbslosen (oder unfreiwillig Kurzarbeitenden) angeboten werden. Das hätte – neben dem Grundeinkommen – weitere positive Effekte bezüglich des Engagements dieser Personengruppen zur Folge, denn Erwerbslose sind – aus vielerlei Gründen – weniger bürgerschaftlich engagiert als Erwerbstätige.
Zusammenfassung
Das Grundeinkommen befördert das freiwillige Engagement von Bürger*innen
aufgrund
– der impliziten Anerkennung aller Bürger*innen als autonom Handlungsfähige und an der Gestaltung der Gesellschaft und des Öffentlichen gleichermaßen Teilhabeberechtigte,
– der grundlegenden und erpressungsfreien materiellen Absicherung des gesellschaftlichen Engagements und
– der Möglichkeit, Zeitressourcen zu erweitern.
Ein Grundeinkommen wäre ein wesentliches Strukturmerkmal einer Gesellschaft, die das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürger*innen stärken will. Es befördert die Teilhabechancen aller Bürger*innen und führt somit zu mehr Teilhabegerechtigkeit.[viii]
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[i] Die Gestaltung des Öffentlichen ist auch mit der Auseinandersetzung verbunden, was als öffentliche Angelegenheit gilt, was also durch die Bürger*innen gestaltet werden kann, was nicht oder nur indirekt über parlamentarisch-demokratische Prozesse.
[ii] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/089/1408900.pdf, dort S. 38 ff.
[iii] Vgl. https://www.bmfsfj.de/blob/115588/53875422c913358b78f183996cb43eaf/zweiter-engagementbericht-2016—engagementmonitor-2016-data.pdf, S. 16.
[iv] Weitere Erläuterungen zu den Begriffen Grund-/Mindestsicherung, Bürgergeld, Existenzgeld, Sozialdividende und negative Einkommensteuer siehe https://www.grundeinkommen.de/grundeinkommen/grundbegriffe. Verschiedene Modelle des Grundeinkommen und von Grundsicherungen siehe https://www.grundeinkommen.de/grundeinkommen/modelle. Über die Ursprünge der Idee des Grundeinkommens seit dem 18. Jahrhundert siehe https://www.grundeinkommen.de/grundeinkommen/geschichte. Mögliche Ableitungen der Höhe des Grundeinkommens, welches die Existenz sichert und gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland ermöglicht siehe https://www.ronald-blaschke.de/grundeinkommen-muesste-im-jahr-2018-monatlich-ca-1-180-euro-netto-betragen/.
[v] Mit Hartz IV ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende inkl. Sozialgeld gemeint (Zweites Buch Sozialgesetzbuch). Weitere bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherungen sind die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch).
[vi] Verschiedene Befragungen zum Grundeinkommen mit jeweils unterschiedlichen Umfragedesigns ergeben, dass mit einem Grundeinkommen zwischen 18 und 36 Prozent der Erwerbstätigen ihre Arbeitszeit verkürzen würden. Dies ist natürlich abhängig von der Höhe des Grundeinkommens und bisheriger Einkommen sowie von der individuellen Erwerbsorientierung und der familiären Situation.
[vii] Vgl. zum Beispiel die Schweizer Studie im Vorfeld der dortigen Volksabstimmung zum Grundeinkommen: Evi Bossard: Diversität der Gerechtigkeit. Eine Studie zum Gerechtigkeitsempfinden der Schweizer Bevölkerung in Bezug auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen, in: Zürcher Beiträge zur Psychologie der Arbeit, Heft 2/2013, S. 21 f.
[viii] Weiterführende Literatur zum Grundeinkommen und Engagement von Bürger*innen: André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt am Main 2000; Wolfgang Engler: Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft, Berlin 2005; Eric Patry: Das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz. Eine republikanische Perspektive, Berlin, Stuttgart, Wien 2010; Ronald Blaschke: Bürgerschaftliches Engagement und bedingungsloses Grundeinkommen, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, Newsletter 12/2018, siehe auch https://www.ronald-blaschke.de/buergerschaftliches-engagement-und-bedingungsloses-grundeinkommen/.