Blaschke, Ronald: Grundeinkommen und Care-Arbeit, 2014 (in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 134, Dezember 2014, S. 113-127)

Die Debatte über den Zusammenhang von Grundeinkommen und Care-Arbeit gibt es in deutschsprachigen Ländern seit ca. 35 Jahren. Sie war und ist eingebettet in die Diskussion über einen weiten Arbeitsbegriff, eine andere Ökonomie und die grundsätzliche Kritik des Primats der Erwerbs- und Lohnarbeit. Je nach Positionierung zu diesen Themen wird in der feministischen Debatte auch eine unterschiedliche Haltung zum Grundeinkommen eingenommen. Verschiedene Grundeinkommenskonzepte berücksichtigen in unterschiedlichem Ausmaß feministische Debatten zum Grundeinkommen. Andererseits gibt es eine unzureichende Beschäftigung einiger Feminist_innen mit feministischen Grundeinkommensdebatten und mit konkreten Grundeinkommensansätzen.

„Die Verwirklichung der Grundeinkommensidee erfordert ein tiefes kulturelles Umdenken, das aus zwei Teilen besteht, die man nicht einzeln betrachten kann: die Idee, dass es normal ist, wenn Menschen etwas bekommen ohne etwas dafür zu leisten, UND die Idee, dass Menschen Verantwortung für ihre Umwelt übernehmen und das Notwendige tun, auch wenn niemand sie dazu zwingt oder dafür bezahlt.“ (Antje Schrupp 2012)

„Sorge und Angst verengen den Blick, lassen die Menschen um sich selbst kreisen; sie zerstören das Verhältnis zum Menschen und zur Welt. Die Befreiung von Angst und Sorge durch eine unmittelbare Not gibt Raum frei für eine Weltgestaltung unter dem Vorzeichen der Für-Sorge.“ (Büchele/Wohlgenannt 1985, 95)

1. Begriffsklärungen

Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen in einer die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichernden Höhe, auf den alle Menschen einen individuell garantierten Rechtsanspruch haben – ohne einen Zwang zur Arbeit oder zu einer Gegenleistung und ohne eine sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung (sozialadministrative Einkommens- und Vermögensprüfung). Die Begriffe Grundeinkommen und bedingungsloses Grundeinkommen sind synonym. Die genannten Kriterien sind spiegelbildlich das Gegenteil z.B. der deutschen Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) bzw. verschiedener Grund- bzw. Mindestsicherungen in anderen Ländern. Unter Care-Arbeit im engeren Sinne (auf Care-Arbeit im weiteren Sinne wird später eingegangen) wird jegliche direkte Sorgetätigkeit für andere Menschen verstanden, die auch eine starke persönliche und emotionale Dimension beinhaltet. Care-Arbeit wird in allen Sektoren der Wirtschaft, also marktvermittelt, auf staatlicher oder gemeinwirtschaftlicher Ebene oder innerhalb des privaten Haushaltes erbracht (vgl. Haidinger/Knittler 2014, 111). Care-Arbeit im engeren Sinne wird vorwiegend von Frauen unbezahlt im familialen, im Haushalt und im Ehrenamt, im Freundes- und Nachbarschaftsbereich geleistet. In der Regel schlecht bezahlt wird sie in non-profit- und profit-Unternehmen, aber auch durch Dienstleister_innen in Haushalten und Familien geleistet. Die Logik der unbezahlten Care-Arbeit ist eine Gegenseitigkeitslogik (Reziprozität), die entweder auf (paternalistischen) Arbeits- und Gefühlsverpflichtungen, auch auf Erwartbarkeiten des Gegenseitigen oder auf bedingungslos solidarischer Grundlage basieren (vgl. Bareis/Cremer-Schäfer 2013, 165 f.). Die Logik der bezahlten Care-Arbeit als geldvermittelte Arbeit (Erwerbs-/Lohnarbeit) ist eine Äquivalenzlogik (Bezahlung nach Anzahl der vorgegebenen Arbeitsstunden bzw. „Fälle“). Aus der Sicht der Care-Leistung Erhaltenden gilt: Ein gebührenfreier, bedingungsloser und universeller Zugang zu bezahlter oder zu unbezahlter Sorgearbeit ist/wäre wie ein Grundeinkommen ein radikaler Bruch mit der Äquivalenz- und Reziprozitätslogik – weil ohne eine direkte äquivalente oder reziproke Gegenleistung eine Leistung zur Sicherung bzw. Ermöglichung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe erhalten wird.

2. Zusammenhang von Care-Arbeit und Grundeinkommen

Kein Mensch kann unabhängig von anderen Menschen (gut) leben – das gilt keineswegs nur für Kinder und Ältere, sondern grundsätzlich: jede/r kann auf die Unterstützung anderer angewiesen sein, nicht nur wenn man krank wird oder einen Unfall hat. Nach Ellen Bareis und Helga Cremer-Schäfer muss für die Reproduktionsarbeit (also auch für die Care-Arbeit) auch eine „Suspendierung von Gegenseitigkeit“ gelten, denn selbst die „Bedingung einer gleichzeitigen oder zeitversetzten Gegenseitigkeit der Reproduktionsarbeit reicht […] in keiner bekannten Produktionsweise dafür aus, dass jedes Mitglied immer die Ressourcen bekommt, die es braucht, um sich als Person […] zu reproduzieren.“ (Bareis/Cremer-Schäfer 2013, 169) Sie plädieren für eine über das Prinzip der Reziprozität hinausgehende Logik der Reproduktionsarbeit (inkl. Care-Arbeit), die sich an der Bedürftigkeit des Menschen festmacht: „Jeder erhält die guten Dienste, die Ressourcen und Beziehungen, die er ‚braucht‘ und die er in Gebrauch nehmen will: Something for nothing, bedingungslos:“ (ebd., 170) Und dies keineswegs nur die, die nicht Gegenleistung erbringen können – Junge, Alte, Kranke. Denn: „In Situationen der Abhängigkeit kommen wir nicht nur lebensgeschichtlich […] oder durch unsere Körperlichkeit […]. In eine Situation der Abhängigkeit geraten alle, die in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft nicht gegen Lohn, nicht im Normalarbeitsverhältnis und nicht diszipliniert arbeiten können, dürfen oder wollen“. (ebd.). Bareis und Cremer-Schäfer fragen für jede denkbare Gesellschaftsform: „In welche Lage werden Menschen gebracht, die anerkannte (Minimal-)Forderungen nach (Gegen-)Gaben (z.B. der Dankbarkeit, Unterwürfigkeit, der Unauffälligkeit, der Verstehbarkeit) nicht erbringen (wollen), um an der Gesellschaft teilzunehmen? An welchem sozialen Ort, von wem und unter welchen Bedingungen wird die Arbeit der ‚Daseinsvorsorge‘ übernommen?“ (ebd., 170). Die Forderung nach einer äquivalenten oder reziproken Gegenleistung hat ihrer Meinung nämlich eine Grenze. Sie liegt in der „Wertschätzung des Individuums“. Diese erkennt den Menschen  jenseits der Gegenleistungslogik an (vgl. Büchele/Wohlgenannt 1985, 26). Darauf basieren „Konzepte der Freundlichkeit und der Freundschaft und der Bedingungslosigkeit“, der „Praxis und Haltung der beneficence“ (Bareis/Cremer-Schäfer 2013, 170) oder des „gleichwertigen Partner-Seins“ (Büchele/Wohlgenannt 1985, 95). Genannte Autor_innen verweisen damit auf eine notwendige Ergänzung der Reziprozitätslogik, die sowohl die freiwillige Anerkennung des Existenz- und Teilhaberechts und die freiwillige Care-Arbeit als auch den bedingungslosen Erhalt von Ressourcen zur Existenz- und Teilhabesicherung und von Care-Leistung ermöglicht. Ich meine: Die höchste Form von Reziprozität ist die der bedingungslosen gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung der/des Anderen. Ich kann, muss und werde anderen bedingungslos die Sicherung ihrer grundlegenden Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe (inkl. Sorge) zuerkennen, weil die Anderen meine grundlegende Existenz und gesellschaftliche Teilhabemöglichkeit (inkl. Sorge) ebenfalls niemals bestreiten werden (vgl. auch Büchele/Wohlgenannt 1985, 95 f.) Wie keinesfalls einem Menschen das Recht auf Erziehung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Pflege usw., somit der Zugang zu entsprechenden Institutionen aberkannt wird, wird ihm keinesfalls das monetäre (oder in geldloser Gesellschaft das nicht monetäre) Grund“einkommen“ verwehrt. In Haushaltbeziehungen mit einem relativ begrenzten Beziehungsgeflecht kann diese Zusicherung unmöglich auf Dauer gestellt sein. Denn hier gibt es sowohl die Begrenztheit der verfügbaren materiellen sowie der zeitlichen Ressourcen (vgl. Bareis/Cremer-Schäfer 2013, 172), als auch die Begrenzung durch die mit der materiell bedingungslos abgesicherten individuellen Freiheit gegebenen Möglichkeit des Nein-Sagens zu einer bestimmten Care-Arbeit (vgl. Appel/Gubitzer/Wohlgenannt 2013, 107). Die Zusicherung kann aber in einem sozialen und politischen Gemeinwesen auf Dauer gestellt werden – wenn das Gemeinwesen sich zu Grundeinkommen und zu universell zugänglichen sozialen Infrastrukturen und Dienstleistungen (vgl. AG links-netz 2013) u.a. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit großer Mehrheit entschließt.

3. Statt Zwang: Freiheit und Notwendigkeit in gegenseitiger Abhängigkeit

Abhängigkeit voneinander und Freiheit sind nicht mehr Gegensätzliches, wenn in der von anderen abhängigen Wertschätzung zugleich die Begründung individueller Freiheit liegt – und umgekehrt. Freiheit steht nicht im Widerspruch zur Notwendigkeit, denn es gilt, dass, um der maximalen Freiheit aller zur Wirklichkeit zu verhelfen, die Absicherung des Notwendigen notwendig ist. Es bestehen also zwei verschränkte Ebenen: eine Notwendigkeit, die individuelle Freiheit für alle ermöglicht, und eine Freiheit, die Notwendiges (und Verantwortung für das Notwendige) einsehbar und praktisch verfügbar macht. Nur in dieser Verschränkung verlieren individuelle Freiheit und Notwendigkeit ihre Gegensätzlichkeit: Ein Gemeinwesen, was dagegen auf Zwang statt auf individuelle Freiheit setzt, setzt nicht nur die individuelle Freiheit generell aufs Spiel, sondern auch die Freiheit, die die gesellschaftlich und individuell die Einsicht in das Notwendige erst ermöglicht. Denn sie anerkennt nicht das für jedes Individuum Notwendige zu dessen Freiheitssicherung. Abhängigkeiten als Zwangsbeziehungen, ob nun als gesellschaftliche oder private Verhältnisse, ob nun als herrschaftlich, ökonomische oder sozialadministrativ erzeugte, gehen fehl in Sachen Freiheit und in Sachen Notwendigkeit. Bezogen auf das interpersonelle Verhältnis in der Sorgearbeit: Ein Zwang einer Person zur Leistung von Care-Arbeit gegenüber Anderen wird mit Sicherheit kein akzeptables Ergebnis bezüglich Qualität und Quantität der Care-Leistung zeitigen. Und bezogen auf gesellschaftlich organisierte Sorgeverhältnisse: Die nicht  bedingungslose Anerkenntnis des Rechts auf Existenz und Teilhabe desjenigen, der Sorgeleistung erhält, führt zur „Sorge“ in einem „entmündigenden caritativen Sinn oder auf der Basis von Stigmata“ (Büchele/Wohlgenannt 1985, 96). Zwang pervertiert, verfälscht das Notwendige, ob dies nun in bezahlter oder unbezahlter Zwangsarbeit erledigt werden soll. Der junge Karl Marx hat den ökonomischen Grund der Perversion benannt: „Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist sie [die Arbeit, R. B.] Lebensentäußrung, denn ich arbeite, um zu leben, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen. Mein Arbeiten ist nicht Leben. […] darum auch eine nur erzwungene Tätigkeit und nur durch eine äußerliche zufällige Not, nicht durch eine innere notwendige Not mir auferlegt […].“ (Marx 1981, 463, vgl. ebd. 454) Innere Einsicht in Notwendiges kann nicht äußerlich (weder mit ökonomischer, aber auch nicht mit außerökonomischer Gewalt) Erzwungenes sein (vgl. Schrupp 2013, 86), auch nicht etwas, das „von irgendeiner Instanz festgelegt wird […]. Denn das Notwendige entfaltet seine Motivation zum Arbeiten nur dann, wenn diejenige, die diese Arbeit tun wird, diese Notwendigkeit auch subjektiv erkennt und nicht von außen vorgeschrieben bekommt.“ (ebd., 90) Mit der zwangsfreien, insofern freiwilligen notwendigen Arbeit ist eine kulturelle Kompetenz verbunden (vgl. ebd. 91), die erlernt und gelebt werden kann: durch a) (zumindest teilweise) „gegenleistungsfreie“ und „zwangsfreie“ Sozialisationsräume in Familie, im sozialen Nahraum und in Institutionen, b) die demokratische Organisation der Gesellschaft und Wirtschaft, c) Grundeinkommen, d) universell zugängliche öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen, e) verkürzte und selbstbestimmt flexibilisierte Erwerbs(arbeits-)zeit/Zeitsouveränität. Wobei das Grundeinkommen die (geschlechter-)demokratische, zwangsfreie Organisation der Produktion des Notwendigen, ebenso genannte Sozialisationsräume und die Zeitsouveränität befördert. Außerdem vermittelt es der individuellen Existenz eine grundlegende Verlässlichkeit (vgl. Büchele/Wohlgenannt 1985, 94 f.), ohne die eine Gesellschaft kalt ist oder verroht.

Dringend muss aber auch folgewirksam darüber debattiert werden, wie Notwendigkeiten gesellschaftlich produziert werden, die eigentlich nicht notwendig wären: Welche gesellschaftlichen (Re-)Produktionsverhältnisse machen Menschen massenhaft krank und hilfebedürftig?[1] Nicht die Aufgabe der Rationalisierung der notwendigen Care-Arbeit steht an, sondern die demokratische Gestaltung einer Ökonomie der vorsorgenden (Re-)Produktion. die im weiteren Sinne Care-Arbeit ist. Nur so kann die Reparaturfunktion, die die Care-Arbeit in einer krank- und hilfebedürftig machende Gesellschaft auch hat (nachsorgende Care-Arbeit), minimiert werden – um (Vor-)Sorgearbeit quantitativ und qualitativ besser leisten zu können. Darüber hinaus ist zu fragen: Welche Arbeit wird zwar als notwendig erklärt, dient aber nur der Aufrechterhaltung der bestehenden ökonomischen und politischen Herrschaftsverhältnisse? 50 Prozent der Erwerbsarbeit sind überflüssige, kapitalismusinduzierte Arbeiten, die nicht Güter und Dienstleistungen entwickeln, herstellen und verteilen, sondern die der Sicherstellung und Abwicklung  ihrer Verwertung als Waren dienen (vgl. Schatz 2013, 225). Wie viel Zeit wird uns durch diese Art von Ökonomie geklaut, die auch für die Care-Arbeit genutzt werden könnte – und zwar von Frauen und Männern?

Solche grundsätzlichen Überlegungen werden in erwerbs(arbeits-)zentrierten Debatten über Care-Arbeit (vgl. WIDE 2012) fast vollkommen ausgeblendet. Ebenso wie bei Frigga Haug ausgeblendet wird, dass auf dem Weg in eine oder in einer Vier-in-Einem-Gesellschaft der existenzielle Zwang zur Erwerbsarbeit (weil nur dort laut Frigga Haug Einkommen erzielt werden kann, vgl. Haug 2008, 20 ff.), nicht hilfreich ist – siehe Marx. Darüber hinaus verwechselt sie in ihrer Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen in Bezug auf Care-Arbeit einiges. Sie schreibt: „Aber wenn der Diskurs jetzt weitergeht, rutscht er wieder zurück in die Lohnarbeit wegen der Kritik an der Arbeitspflicht, die als Nötigung empfunden und eben durch das Grundeinkommen abgeschafft sein muss. Aber die ‚Arbeitspflicht‘ existiert ja bei Reproduktions-, Pflege- oder Sorgearbeit ohnehin immer. Sie kommt aus der Sache selbst, sozusagen aus den bedürftigen anderen Wesen, und dies auch dann, wenn man niemanden verpflichtet. […] Der Protest gegen die Zumutung arbeiten zu sollen als Teilhabe an Gesellschaft, steht irgendwo quer zur notwendigen Arbeit im Reproduktionsbereich.“ (Haug 2011, 59 f.) Haug verwechselt sowohl „innere Einsicht in Notwendiges“ und „objektiv“ Notwendiges, als auch ethisch begründetes pflichtgemäßes Tun und äußerlich erzwungenes Tun (Nötigung). Mit diesen Verwechslungen verbunden ist in Haugs Konzept der Zwang zur Care-Arbeit, der keineswegs nur unter dem Aspekt der individuellen Freiheit in Bezogenheit abzulehnen wäre.

4. Feministische Positionen zum Grundeinkommen im Zusammenhang mit Care-Arbeit

Eine Unterteilung feministischer Positionen zum Grundeinkommen im Zusammenhang mit Care-Arbeit, die fließende Übergänge nicht leugnet, kann zwischen gleichstellungs/-berechtigungspolitischen, postpatriarchalen, sozialökologischen und demokratiepolitischen feministischen Positionen vorgenommen werden. Beim gleichstellungs-/-berechtigungspolitischen Feminismus werden bestehende ökonomische Verhältnisse hauptsächlich unter dem Blickwinkel betrachtet, ob Frauen in diesen Verhältnissen eine Gleichstellung bzw. Gleichberechtigung mit Männern erfahren. Care-Arbeit wird als bestimmter Bereich der ganzen Ökonomie aufgefasst, Erwerbsarbeit gilt als zentral. Die postpatriarchale Debatte hinterfragt patriarchalische und kapitalistische Logiken der Produktion und der Reproduktion und plädiert für ein neues Verständnis der Ökonomie, ausgehend von der Sorge um den Menschen. Der sozialökologische Ansatz nutzt die Kritik an den herrschenden Produktions- und Reproduktionslogiken, um auch das derzeitige herrschende Mensch-Naturverhältnis zu kritisieren – Sorge versteht sich als Sorge um Menschen und Natur. Der demokratiepolitische Ansatz erweitert den engen Sorgebegriff auf das Öffentlich-Politische im Sinne Hannah Arendts.

Es wird grundsätzlich, auch aus grundeinkommenskritischer oder -skeptischer feministischer Perspektive, positiv hervorgehoben, dass mit dem Grundeinkommen für Frauen die Verhandlungsmacht am Arbeitsmarkt und die Teilnahmemöglichkeit an politischen Aushandlungsprozessen gestärkt, Selbstbestimmungsmöglichkeiten hinsichtlich der Arbeits- und Lebenszeitgestaltung befördert, der Erwerbs-/Lohnarbeitszwang (erst recht zu einer bestimmten Erwerbs-/Lohnarbeit) und materiell prekäre Lebenslagen überwunden, materiell bedingte persönliche Abhängigkeiten vom (Ernährer-)Mann, von Partner_innen und Eltern gelöst oder gelockert, die materiell bedingte zwangsweise Befolgung herkömmlicher Rollenmuster minimiert, Abhängigkeiten von Staatsbürokratien und Symptomvorweisungen zur sozialen Absicherung sowie Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten der traditionellen, von der Lohnarbeit abgeleiteten Sozialversicherungssysteme beseitigt werden – also die individuelle Freiheit der Frauen in vielen Bereichen erweitert wird (vgl. z.B. BAG Erwerbslose 2000, 134; Frauengruppe Glanz der Metropole 2000, 105; Pimminger 2008, 3; Leischen 2011, 42; Schatz 2010, 4 ff.;  WIDE 2012, 5 f.; Worschech 2012, 16 f.; Appel/Gubitzer/Wohlgenannt 2013, 104 ff.)

4.1 Gleichstellungs- und -berechtigungspolitischer Feminismus

In gleichstellungs-/-berechtigungspolitischen feministischen Grundeinkommensdiskussionen werden größtenteils folgende Fragenkomplexe erörtert: Wie verändern sich mit dem Grundeinkommen Zugänge zu Erwerbs-/Lohnarbeit (inkl. Karrierechancen) und zu gleichen Lohneinkommen bei gleicher Arbeit, zu Bildung und Qualifizierung? Werden geschlechterungerechte Arbeitsteilungen in Erwerbs-/Lohnarbeit und zwischen Erwerbs-/Lohnarbeit und Sorgearbeit bzw. Reproduktionsarbeit sowie Frauen benachteiligende Familienmodelle und Geschlechterrollen überwunden? (vgl. Frauengruppe Glanz der Metropole 2000, Irene Pimminger 2008, Susann Worschech 2008, Debattierclub WIDE 2012). Eingebettet in den jeweiligen Ansatz finden sich Fragen und Antworten darauf ebenfalls bei postpatriarchalen, sozialökologischen und demokratiepolitischen feministischen Betrachtungen – bei grundsätzlicher Befürwortung eines Grundeinkommens. In der gleichstellungs- bzw. -berechtigungspolitischen Debatte wird dagegen sehr unterschiedlich an das Thema Grundeinkommen herangegangen.

Die Argumentation der Schweizer WIDE-Frauen zum Grundeinkommen ist geprägt durch eine Ablehnung des Grundeinkommens – mit unbewiesenen Behauptungen und Unterstellungen: „Implizit geht die Utopie des BGE wie viele linke oder alternativen Utopien davon aus, dass die unbezahlte Care-Arbeit ein kleiner Anteil der gesamten Arbeit sein und sich nach der Einführung eines BGE ‚von selbst‘ organisiere.“ (WIDE 2010, 6) Erstens werden von den WIDE-Frauen unterschiedliche Grundeinkommenskonzepte (emanzipatorische, sozial- und neoliberale) nicht zur Kenntnis genommen (vgl. Wagner 2009; Schatz 2010, 2; Netzwerk Grundeinkommen). Zweitens wird die grundlegende Aufmerksamkeit, die der unbezahlten Arbeit (inkl. der unbezahlten Care-Arbeit) in der Grundeinkommensdebatte zukommt, vollkommen übersehen (vgl. dazu z.B. Arbeitsloseninitiativen 1983, 129; Rein 2000, 17 ff.; BAG-Erwerbslose 2000, 124; Biesecker 2000, 4 ff.; Schrupp u.a. 2004; Wagner 2006, 4, Kaiser 2007; Blaschke 2008, 89 f., Blaschke 2010, 110; Attac Österreich 2010; Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen DIE LINKE 2014, 18). Drittens wird übersehen, dass in emanzipatorischen Grundeinkommensansätzen sowohl veränderte Anerkennungs- als auch (Um-)Verteilungsmechanismen für die Care-Arbeit verankert sind. Diese Mechanismen sollen sicher stellen, dass sowohl bezahlte als auch unbezahlte Care-Arbeit geschlechtergerecht und zwangsfrei organisiert wird (vgl. z.B. Arbeitsloseninitiativen 1983, 129, 168; BAG-Erwerbslose 2000, 123 f.; Spangenberg 2003, 108, 115 ff.; Attac Österreich 2010; Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen DIE LINKE 2014,10, 50).

Auch auf die Fragen der WIDE-Frauen nach der Organisation von Care-Arbeit und den Ressourcen für die Erledigung dieser Arbeiten (vgl. WIDE 2012, 8 f.) gab es in der emanzipatorischen Grundeinkommensdebatte schon viele Antworten (vgl. auch Blaschke 2010, 63 ff.): es geht um den Ausbau der primären Sozialsysteme (Haushalt, Nachbarschaft, Kooperativen, Genossenschaften, Selbsthilfeinitiativen, kleiner sozialer Netze) und den demokratischen Wandel der sekundären Sozialsysteme (Markt, Verbände, Staat), um die Neugestaltung des Verhältnisses von Erwerbs-/Lohnarbeit, Arbeit im unbezahlten Bereich und bürgerschaftlich-politischen Engagement auf der Ebene des Individuums – materiell abgesichert und geschlechtergerecht organisiert durch das Grundeinkommens plus[2] (vgl. Büchele/Wohlgenannt 1985, 81 ff.; Gorz 1994, 204 ff.; Gorz 2000, 136 ff.; Biesecker 2000, 4ff., 16; Spangenberg 2003, 116 ff.). Die erwerbs(-arbeits)zentrierte Sicht der WIDE-Frauen, dass „eine gerechte Bezahlung der Arbeit Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Organisation des Wirtschaftens“ (WIDE 2012, 9) sei[3], führt bei ihnen zu folgendem Lösungsansatz: „Zudem sind wir, vor allem für den Care-Sektor, für die Bezahlung von Arbeitszeit im Gegensatz zur kapitalistischen Bezahlung einer profitablen Leistung.“ (ebd., 9) Bei aller Zustimmung zu der Kritik der Profitorientierung – die Umsetzung dieses Vorschlags macht unbezahlte Care-Arbeit unsichtbar und wertet sie ab: Denn die Gestaltung der Care-Arbeit ausschließlich als bezahlte Arbeit unterstellt, es gäbe keine unbezahlte Care-Arbeit mehr. Zweitens würde dieser Vorschlag faktisch auf eine immense Ausweitung der Erfassungs- und Kontrollbürokratie bis hin zur gläsernen Care-Arbeiter_in und Care-Nutzer_in führen. Drittens wäre mit diesem Ansatz das Problem der geschlechterungerechten Verteilung der Care-Arbeit nicht gelöst. Viertens ist der Anspruch einer freiwilligen Care-Arbeit nicht eingelöst. Auch die vorgeschlagene bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung ohne Arbeitszwang (vgl. ebd., 9) hilft nicht viel weiter: Sie setzt aufgebrauchte Vermögen voraus, um vom Arbeitszwang befreit zu sein. Auch grenzen Grundsicherungen systematisch und massenhaft Anspruchsberechtigte aus dem Leistungsbezug aus.[4] Außerdem setzen sie infolge der Einkommensprüfung und -verrechnung negative Erwerbsarbeitsanreize für arbeitszeitverkürzte Jobs (vgl. Schatz 2010, 4 f.). Sie spalten darüber hinaus die Gesellschaft und schreiben bestehende Herrschaftsformen fest: Grundsicherungen brechen „nicht mit den alten paternalistischen Grundsätzen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. […] Das Verständnis von Arbeit und das Menschenbild […] bleibt einseitig auf den Dualismus von ‚Leistungsträger/innen‘ und ‚Nutznießer/innen‘ fixiert […].“ (Worschech 2012, 53 f.)

Diejenigen gleichstellungs-/-berechtigungspolitischen Feminist_innen, die dem Grundeinkommen offen gegenüberstehen, diskutieren differenzierter als die WIDE-Frauen: In ihrer „Auflistung möglicher geschlechtsspezifischer Effekte des Grundeinkommens fallen zwei Dinge auf: Erstens, es gibt zu fast jedem Effekt zwei entgegengesetzte Varianten, wie sich das Grundeinkommen auf die Situation von Frauen auswirken könnte – einmal positiv, einmal negativ. Dies unterstreicht die Tatsache, dass es bisher nicht möglich ist, wirkliche ‚Aussagen‘ zu treffen, sondern nur Annahmen zu formulieren und das je nach politischer Ausrichtung und Vorliebe.“ (Worschech 2012, 45 f.) Es werden daher klare Kriterien des Grundeinkommens und Rahmenbedingungen benannt (die natürlich auch ohne das Grundeinkommen zu ergreifen sind), damit das Grundeinkommen gleichstellungs-/-berechtigungspolitischen feministischen Ansprüchen genügt: Als Ausgestaltungskriterium des Grundeinkommens wird auf die vom Netzwerk Grundeinkommen vertretenen, o.g. Kriterien verwiesen (vgl. Worschech 2012, 55 f.; Pimminger 2008, 4) Als Rahmenbedingungen der Einführung eines Grundeinkommens werden u.a. benannt: Mindestlohn, Förderung kollektiver Arbeitszeitverkürzung und selbstbestimmter Arbeitszeitflexibilisierung (Zeitsouveränität), Abbau von Segregationen auf dem Arbeitsmarkt (z.B. gleiche Zugänge zu Bildung, Qualifikation, Position im Beruf für Frauen, Erhöhung der Einkommen in eher weiblich dominierten Arbeitsmarktsektoren, gleicher Lohn für gleiche Arbeit), Ausbau sowie universeller Zugang zu sozialen Infrastrukturen und Dienstleistungen und öffentlichen Gütern, pauschale Vergütung und Anerkennung bei der Rente von Pflege- und Erziehungszeiten und deutliche Anreize für eine geschlechtergerechte Verteilung der pauschal vergüteten Pflege- und Erziehungsarbeit im familiären bzw. sozialen Nahbereich, Professionalisierung und Qualitätssteigerung haushaltsnaher Dienstleistungen, Abschaffung steuerlicher Privilegierung der Alleinverdienerehe usw. Diese u.a. Rahmenbedingungen wurden seit über dreißig Jahren und werden aktuell in vielen Grundeinkommensdebatten in unterschiedlichem Ausmaß diskutiert (vgl. Arbeitsloseninitiativen 1983, 134; Opielka/Stalb 1986; Blickhäuser/Molter 1986; BAG-Erwerbslose 2000, 134; Biesecker 2000, 12 ff.; Spangenberg 2003, 108, 115 f.; Kaiser 2007, 4 f.; Pimminger 2008, 4; Winker 2009, 3; Schatz 2010, 6 f.; Attac Österreich 2010; Leischen 2011, 43; Biesecker/Wichterich/v. Winterfeld 2012, 18 f.; Baier/Biesecker 2012, 214; Worschech 2012, 56 f.) – dies offensichtlich unbemerkt von den WIDE-Frauen, ebenso, dass das Grundeinkommen plus längst Grundlage emanzipatorischer Grundeinkommenskonzepte ist (siehe Netzwerk Grundeinkommen; Attac Österreich 2010).

4.2 Postpatriarchaler Feminismus und Grundeinkommen

Antje Schrupp, Ina Praetorius u. a. diskutieren das Grundeinkommen im Kontext eines postpatriarchalen Ansatzes: Ökonomie muss nach diesem Ansatz die Tätigkeiten der Einzelnen und ihre Vermittlung „in einem komplexen Beziehungsgefüge der Menschen […] denken.“ (Schrupp 2006) Damit übereinstimmend wird der postpatriarchalen Freiheitsbegriff gefasst: „Wichtig […] ist vor allem, dass wir Freiheit nicht mehr als Gegensatz zu Abhängigkeit und Bezogenheit denken.“ (Praetorius 2012b) „Vielmehr stünde auch ein Grundeinkommen […] in einem Geflecht von Geben und Nehmen, ist angewiesen auf dieses menschliche Beziehungsnetz des umfassenden Wirtschaftens. Ich spreche daher lieber von einem leistungsunabhängigen Grundeinkommen.“ (Schrupp 2006) Dieses Grundeinkommen soll „ein Bewußtsein dafür [schaffen, R. B.], dass zur Ökonomie nicht nur gehört, Dinge zu tauschen, sondern auch Dinge ohne Gegenleistung zu bekommen.“ (Schrupp 2013, 95) Die angestrebte Aufhebung der „Grenzen zwischen ‚eigentlichen‘ und vernachlässigbaren, höheren und niederen, bezahlten und unbezahlten Wirtschaftsbereichen“ sollte „der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen zugrunde liegen […].“ (Praetorius 2012a) Ein weiterer emanzipatorischer Effekt des Grundeinkommens liegt für Schrupp darin, dass es „für die Einzelnen mehr Spielraum schaffen [würde], sodass sie bei der Entscheidung, was sie tun sollen, dem Kriterium der Notwendigkeit Priorität einräumen vor dem Kriterium der Bezahlung.“ (Schrupp 2013, 91) Das Grundeinkommen wäre Teil einer neuen Ausgangslage: „Damit in der Wirtschaft alle das tun können, was gleichzeitig ihren unverwechselbaren Fähigkeiten und Wünschen und den gegebenen Notwendigkeiten entspricht.“ (ebd.) Schrupp, Praetorius u.a. übersehen nicht die Fallstricke, die sowohl mit einem Grundeinkommen, verstanden als Abgeltung für unbezahlte Sorgearbeit der Frauen, als auch mit einer Professionalisierung ehemaliger Hausfrauenarbeit verbunden sind (vgl. Praetorius/Schrupp 2013). Die konkrete „postpatriarchale Organisation“ des Notwendigen und der Sorge für Menschen und Welt“ (Blaschke 2014) muss aber noch weiter diskutiert werden – denn es gibt z.T. widersprüchliche Auffassungen dazu (vgl. Schrupp u.a. 2004; Praetorius/Schrupp 2013).

4.3 Der sozialökologische Ansatz

Einen sozialökologischen feministischen Ansatz[5] finden wir bei Adelheid Biesecker, Christa Wichterich, Uta von Winterfeld u.a.: Sie verbinden die Frage der Geschlechtergerechtigkeit und die Kritik an der herrschenden Logik der Ökonomie und der Arbeit mit Überlegungen über eine ökologisch orientierte und den Ressourcenverbrauch minimierende Ökonomie. Es handelt sich also um einen komplexen feministischen Ansatz, der „Arbeit vom Vor- und Versorgen und nicht vom Markt her denkt. […] Ein Maß für alle Arbeitsprozesse jenseits von Geld ist zudem die Rücksichtnahme auf die Regeneration der Natur und ein ressourcenschonender und emissionsarmer Umweltbezug.“ Ein neues Arbeitsverständnis soll Grundlage für eine gesellschaftliche Umverteilung und Umbewertung von Arbeit sein. „Dabei werden sowohl geschlechtsspezifische Zuweisungen als auch geschlechtsgebundene Bewertungen von Arbeit überwunden. Wöchentliche Erwerbsarbeitszeiten werden radikal verkürzt, damit sowohl Erwerbsarbeit als auch Sorgearbeiten zwischen Männern und Frauen geteilt werden können.“ Die integrative und geschlechtergerechte Gleichstellung in der Verteilung und Bewertung von Arbeit soll demokratisch-diskursiv und in neuen Gesellschaftsverträgen ausgehandelt werden. „Eine ermöglichende Vorbedingung ist ein Grundeinkommen, das weder die alten Geschlechtsstereotypen in der Arbeit reproduziert noch als eine neoliberale Absicherungsform der Prekarisierung von Erwerbsarbeit missbraucht wird. Dieses Grundeinkommen wäre bedingungslos in dem Sinne, dass es an keinerlei Zugangseinschränkungen oder Sanktionsdrohungen geknüpft wäre und somit ermöglichte, Lohneinkommen und soziale Sicherung wirklich zu entkoppeln. Es wäre gleichwohl bedingungsvoll, weil es nur ein Element einer qualitativ hochwertigen sozialen Infrastruktur wäre, die allen den Zugang zu Daseinsvorsorge und sozialen Sicherheiten gewährleistet.“ (alles Biesecker/Wichterich/v. Winterfeld 2012, 18 f.[6])

Adelheid Biesecker und Andrea Baier (Vertreterin des subsistenzorientierten Feminismus) stellen das Konzept des vorsorgenden Arbeitens[7], dass „die geschlechtshierarchische Trennungsstruktur der kapitalistischen Ökonomie, die Abtrennung und Abwertung der allem Wirtschaften zugrundeliegenden Basisproduktivitäten: der weiblichen Sorgearbeit und der Naturproduktivität“ (Baier/Biesecker 2012, 214) überwinden soll, in einen Zusammenhang mit den Grundeinkommen plus: Dieses Konzept „fordert die gleiche und gleichwertige Beteiligung von Männern und Frauen an allen Arbeitsbereichen [Sorgearbeit, Eigenarbeit, bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit, R. B.] Dazu ist es erforderlich, die Erwerbsarbeit radikal zu kürzen, Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern umzuverteilen und die einzelnen Arbeitsbereiche und -produkte nach sozial-ökologischen Kriterien zu gestalten. Die Sorgearbeit gilt es durch eine unterstützende soziale Infrastruktur aufzuwerten. Finanziell abgesichert wird dieses Konzept durch für ein gutes Leben bürgende Löhne und durch ein Grundeinkommen.“ (Baier/Biesecker 2012, 214)

4.4 Demokratiepolitischer Feminismus

Eva Senghaas-Knobloch entwickelt ein feministisches Konzept, das den engen Care-Arbeitsbegriff mit einem politischen Begriff von Fürsorge verbindet. Sie versteht in Anlehnung an Hannah Arendt „Demokratie als fürsorgliche Praxis“ (Senghaas-Knobloch 2001, 290). Damit kritisiert sie einerseits den erwerbsarbeitszentrierten Feminismus und entwickelt andererseits ein Konzept, um „Frauentätigkeiten, die mit der ersten Geburt verbunden sind und alle Tätigkeiten, die in der Tatsache der existenziellen Angewiesenheit jedes einzelnen Menschen auf konkrete und unmittelbare Fürsorge begründet sind, in ihrer fundamentalpolitischen Bedeutung für die Gestaltung des Gemeinwesens anzuerkennen.“ (ebd.) Es geht in dreifacher demokratiepolitischer feministischer Hinsicht erstens darum, „dass alle Staatsbürger, auch diejenigen mit hohen Fürsorgeverpflichtungen unmittelbar konkreter Art, Ressourcen materieller und zeitlicher Art zur Verfügung gestellt bekommen, die es ihnen erlauben, nicht nur unmittelbare Fürsorgeverpflichtungen gegenüber Angehörigen zu erfüllen, sondern auch das ihnen mögliche und gewünschte Maß eines fürsorglichen Handelns im weiteren Rahmen, eines politischen Handelns als bürgerschaftliches Engagement.“ (ebd., 291) Zweitens: Es soll allen die „zweite Geburt“, das Eintreten in die das öffentlich-politische Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten (Hannah Arendt), ermöglicht und abgesichert werden. Dies drittens insbesondere auch den Frauen, um frauenspezifische Perspektiven und die fundamentale Bedeutung der Fürsorge füreinander für die Gestaltung des Gemeinwesens zur Anerkennung zu verhelfen. Unter diesen Gesichtspunkten untersucht Senghaas-Knobloch verschiedene Konzepte der gesellschaftlichen Neubewertung von Tätigkeiten, inkl. der damit verbundenen bedingten monetären Transfers und Grundeinkommen (vgl. ebd., 273 ff.).

 5. Fazit

 Sowohl in gleichstellungs-/-berechtigungspoltischer, postpatriarchalischer, sozialökologischer und demokratiepolitisch feministischer Sicht wird die Idee des Grundeinkommens wohlwollend bis befürwortend diskutiert. Ausgeprägt erwerbs(arbeits)zentrierte feministische Positionen (WIDE 2012) lehnen das Grundeinkommen eher ab. Der Begriff der Care-Arbeit (inkl. der Care-Ökonomie) wird unterschiedlich genutzt: von einem bestimmten Ökonomiebereich (der unbezahlte und bezahlte Arbeit umfassen kann) im gleichstellungs-/-berechtigungspolitischen Feminismus bis hin zum Verständnis der Sorge als ökonomie- und als gesellschaftskonstituierendes Prinzip und als Prinzip des Verhältnisses zur Natur. Das weite Verständnis von Sorge, das sich im postpatriarchalen, sozialökologischen und demokratiepolitischen Feminismus findet – und dabei Kapitalismus- und Patriarchatskritik verbindet –, ist rückbezogen auf das enge Care-Verständnis. Das weite Verständnis von Care ist diskurs- und entwicklungsfähig, sowohl in den Wissenschaften, in der Politik als auch in den sozialen Bewegung, weil es verschiedene Themen miteinander verbindet – Kapitalismuskritik, radikale Demokratisierung, neues Ökonomie- und Arbeitsverständnis, Ökologie und Ressourcenfrage, bedingungslose soziale Absicherung aller Menschen durch Grundeinkommen und universelle öffentliche soziale Infrastruktur und Dienstleistungen, Lohn-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit.

Grundsatz einer emanzipatorischen feministischen Debatte über das Grundeinkommen, die sich einmischen will, statt sich aus dem Diskurs auszugrenzen, könnte der von Gabriele Winker vom Feministischen Institut Hamburg benannte sein: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein spannendes unterstützenswertes politisches Projekt. FeministInnen haben die Aufgabe und Chance, die aktuelle Debatte um das Grundeinkommen inhaltlich zu verbreitern und damit auch zu stärken.“ (Winker 2009, 2)

Die aus Argumentationsgründen sehr umfassende Literatur- und Quellenübersicht findet sich hier als pdf-Dokument.

Eine kommentierte Materialsammlung zum Thema ist hier abrufbar: https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2014/06/leseliste-bge-in-der-feministischen-und-postpatriarchalen-debatte.pdf

1] William Kapp errechnete vor fünfzig Jahren, dass ca. 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in „entwickelten“ Ländern aufgebracht werden, um soziale und ökologische Schäden, die mit dem herkömmlichen Wirtschaftswachstum verbunden sind, zu beseitigen (vgl. Kapp 1977). Die Existenzgeldaktivist_innen der unabhängigen Erwerbslosenbewegung meinen, „daß viele Krankheiten, Unfälle, Kriegstote in einem anderen System gar nicht mehr vorkommen – bzw. solch ein System wollen wir erkämpfen.“ (Arbeitsloseninitiativen 1983, 134)

[2] Ein Begriff, den Stephan Lessenich auch mit Bezug auf geschlechterpolitische Fragen an das Grundeinkommen prägte (vgl. Lessenich 2009, 21). Mehr dazu im Weiteren.

[3] Eine grundsätzlichere Problematisierung bezahlter Sorgearbeit nehmen z.B. André Gorz (1994, 204) und Bettina Haidinger und Käthe Knittler vor (2014, 115 ff.).

[4] Die non-take-up-Rate z.B. bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (ohne Arbeitszwang) in Deutschland beträgt 68 Prozent (vgl. Hans-Böckler-Stiftung 2012), bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (mit Arbeitszwang) fast 50 Prozent (Becker/Hauser 2010, 138). Von dieser grundrechtlich desaströsen Situation sind auch viele Care-Leistungen erhaltende Menschen betroffen.

[5] Sozialökologische feministische Ansätze sind nicht neu. Michael Opielka und Heidrun Stalb diskutierten 1986 in kapitalismusüberwindender Perspektive die Ausbeutung der Arbeit, der Natur und der Frauen im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen (vgl. Opielka/Stalb 1986, 73 ff.). Joachim Spangenberg bettet sozialökologische feministische Überlegungen in das Konzept für eine nachhaltige Gesellschaft ein (vgl. Spangenberg 2003).

[6] Vgl. zum Thema soziale Infrastruktur inkl. Grundeinkommen AG links-netz 2013.

[7] Das Konzept der vorsorgenden Arbeit setzt auf eine andere Ökonomie: Vorsorge (auch für kommende Generationen) statt Nachsorge, Kooperation statt Konkurrenz, Orientierung am Lebensnotwendigen statt am Maximum und an Wachstum (vgl. Biesecker 2000, 5).

Grundeinkommen und Care-Arbeit