Grundeinkommen: Weniger Zwang, mehr Freiheiten, mehr Verantwortung und Entschleunigung (Beitrag in Der Rabe Ralf, Februar/März 2018, Seite 1 und 4, Zeitschrift der GRÜNEN LIGA, Landesverband Berlin)
Das Grundeinkommen ist eine Geldzahlung des politischen Gemeinwesens an alle Menschen, das die Existenz sichern und die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll. Es ist ohne eine sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung und ohne einen Zwang zu Arbeit oder zu einer anderen Gegenleistung individuell garantiert: Das Grundeinkommen ist faktisch das Gegenteil von Hartz IV.
In Deutschland kann von einer notwendigen Grundeinkommenshöhe von etwa 1.100 Euro netto ausgegangen werden. Wer keine weiteren Einkommen erzielt, ist kostenfrei bei der Kranken- und Pflegeversicherung abgesichert. Zu dem Grundeinkommen können weitere Einkommen hinzukommen, wie zum Beispiel Erwerbseinkommen oder Nachteilsausgleiche bei chronischer Krankheit oder bei Behinderung.
Wenn öffentliche, soziale Infrastruktur und Dienstleistungen gebührenfrei genutzt werden können, wie zum Beispiel der öffentliche Personennahverkehr, kann das Grundeinkommen geringer ausfallen. Denn, um beim Beispiel zu bleiben, die Mobilität im Nahbereich ist dann bereits gesichert. Außerdem hat diese Form der bedingungslosen Grundversorgung für alle eine ökologische und gesundheitsförderliche Wirkung, weil privater Pkw-Verkehr dadurch minimiert wird.
Finanzierbar und umweltgerecht
Oft wird gefragt, ob ein Grundeinkommen finanzierbar ist. Ja klar, ist es. Grundeinkommen, die hoch genug sind, bewirken eine steuerliche Umverteilung von Einkommen und Vermögen, also mehr Verteilungsgerechtigkeit. Auf der Website grundeinkommen.de finden sich ausgewählte Grundeinkommensmodelle inklusive Finanzierungsmöglichkeiten. Einige Finanzierungsmodelle enthalten auch Steuern auf umweltschädliche Produkte oder auf den hohen Verbrauch von Naturressourcen. Damit soll ökologisches, umweltbewusstes Verhalten gefördert werden.
Das Grundeinkommen wird auch aus anderen Gründen in der Umweltbewegung und der wachstumskritischen Bewegung positiv aufgenommen. Erstens, weil es individuell gewünschte Formen der Arbeitszeitverkürzung befördert. Das Grundeinkommen wirkt als eine Art Lohnausgleich für weniger Erwerbsarbeit – zum Beispiel wenn man eine Auszeit nehmen will oder die Tages- oder Wochenarbeitszeit verkürzen will. Übrigens: Länder mit kürzeren Arbeitszeiten haben tendenziell einen kleineren ökologischen Fußabdruck und geringere Kohlendioxid-Emissionen.
Zweitens ermöglicht die frei werdende Zeit politisches Engagement sowie Mitwirkung an ökologischen und solidarökonomischen Projekten – aber auch ein entschleunigteres Leben, mehr Zeit für Muße, Familie und Freundeskreis.
Drittens setzt das Grundeinkommen die Einzelnen in mehr Verantwortung: Keine/r kann mehr die Existenzsicherungsnotwendigkeit als Entschuldigungsgrund einer Mitarbeit an umweltzerstörender, den Klimawandel befördernder und gesundheitsschädigender Produktion vorbringen: Das Grundeinkommen, von vielen in den Gewerkschaften auch als zweites Streikgeld bezeichnet, eröffnet jeder und jedem die Freiheit, nein zu sagen zu solchen Jobs. Jede/r kann sich mehr engagieren für eine nachhaltige Ökonomie.
Die Grundeinkommensbewegung hat also gute Gründe, mit der ökologischen und wachstumskritischen Bewegung zusammenzuarbeiten – und tut es auch.
Niemand ist mehr mit Existenznot erpressbar
Oft wird behauptet, dass das Grundeinkommen alle anderen Sozialsysteme ersetzen würde. Das stimmt nicht. Natürlich können viele bedürftigkeitsgeprüfte Sozialleistungen durch das Grundeinkommen ersetzt werden, so zum Beispiel Hartz IV, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und die Hilfe zum Lebensunterhalt. Auch das Kindergeld und das Bafög können abgeschafft werden – ist doch das Grundeinkommen eine bedingungslose Absicherung der Menschen „von der Wiege bis zur Bahre“. Viele Grundeinkommenskonzepte sehen aber den Ausbau der öffentlichen und sozialen Infrastruktur und Dienstleistungen sowie der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zur Bürgerversicherung für alle vor. Bei der Rente gilt das Grundeinkommen als eine Grundrente. Altersarmut, Armut generell wird durch das Grundeinkommen abgeschafft.
Natürlich fällt ein Grundeinkommen nicht wie Manna vom Himmel. Ein Grundeinkommen in seiner hier skizzierten Ausgestaltung muss politisch erstritten werden, genauso wie eine nachhaltige, ökologische Produktion und Gesellschaft. Die Grundeinkommensbewegung ist dazu gut vernetzt – europaweit und global.
Die Grundeinkommensbewegung stellt auch grundsätzliche Fragen zur Diskussion: Was ist ein gutes Leben? Wer bestimmt, was produziert und konsumiert wird? Wer entscheidet darüber, was für Nahrungsmittel auf unseren Tisch kommen, welche Art von Energieproduktion wir haben?
Letztlich ist das Grundeinkommen ein solidarisches Projekt: Das Gemeinwesen, wir alle erklären uns gegenseitig: Du hast das Recht zu leben, an unserem Gemeinwesen teilzuhaben – ohne Wenn und Aber. Niemand hat das Recht, dir die materielle Grundabsicherung dafür streitig zu machen. Du hast das Recht, deine Fähigkeiten frei zu entwickeln. Niemand hat das Recht und die Möglichkeit, dich mit drohender Existenznot zu erpressen. Eine solidarische Gesellschaft verzichtet auf existenzielle Nötigung.
Weiter für Geld arbeiten, aber weniger
Und zuletzt die Antwort auf die übliche Frage: Wer würde mit einem Grundeinkommen noch arbeiten gehen? Mit dieser Frage ist immer Erwerbsarbeit gemeint. Denn Arbeiten wie die unbezahlte Erziehungs- und Sorgearbeit sowie bürgerschaftliches Engagement werden bereits jetzt massenhaft geleistet – sogar doppelt so viele Stunden wie Erwerbsarbeit. Da ist der Gelderwerb zur Existenz- und Teilhabesicherung nicht der Grund der Arbeitsmotivation.
Mit der Frage wird also die Angst ausgesprochen, dass mit einem Grundeinkommen möglicherweise keine/r mehr weiteres Einkommen durch Erwerbsarbeit erzielen möchte – wäre doch für die grundlegende Existenz und Teilhabemöglichkeit durch das Grundeinkommen gesorgt.
Erwerbsarbeit hat dann aber die Funktion, über das gesicherte Existenz- und Teilhabeminimum hinaus Einkommen durch einen ordentlichen Stundenlohn zu erwerben – aber mit weniger Arbeitsstunden als vorher. Und genau das sagen auch alle Studien aus: Ganz wenige würden vollkommen auf einen Job verzichten, viele aber ihre Arbeitszeit verkürzen – und somit auch Erwerbslosen den Zugang zu Erwerbsarbeit ermöglichen.
Das Grundeinkommen befördert also eine Arbeitszeitverkürzung und eine Umverteilung von Erwerbsarbeit zugunsten von Erwerbslosen – und auch eine Umverteilung von unbezahlter Erziehungs- und Sorgearbeit zugunsten von Frauen: Männer mit kürzerer Erwerbsarbeitszeit können bedeutend mehr von dieser Arbeit übernehmen. Auch hier besteht also eine Möglichkeit der Entschleunigung beim alltäglichen Wechsel zwischen Job, Haushalt und Familie.