Blaschke, Ronald: Das Bedingungslose Grundeinkommen – links und emanzipatorisch, Berlin, Januar 2006
Jetzt hat es der Bundespräsident dem STERN gesagt: Wir sind (für ein) Grundeinkommen! Wirklich? Mit meinem Beitrag möchte ich auf grundlegende Missverständnisse beim Thema „Grundeinkommen“ eingehen – die sich auch in der Debatte „Grundeinkommen versus Mindestlohn?“ eingeschlichen haben. Ursprünglich wollte ich neben Passagen von Christa Luft und Klaus Wiesehügel auch Kai Ehlers Text kritisieren. Aber die Auseinandersetzung mit dem Vorschlag des Bundespräsidenten raubte den dazu nötigen Platz.
Erstens: Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein Einkommen, das allen Menschen individuell garantiert vom Gemeinwesen zugestanden wird – ohne eine Arbeitsverpflichtung, ohne eine Bedürftigkeitsprüfung, in Existenz und gesellschaftliche Teilnahme sichernder Höhe. Das BGE kann mit anderen Einkommen abzugsfrei kumuliert werden. Klaus Wiesehügel erinnert das BGE an das FDP-„Bürgergeld“. Bundespräsident Horst Köhler hat ihn sicherlich mit seinem jüngsten Interview bestätigt. Das BGE ist aber genau das Gegenteil des FDP-„Bürgergeldes“ und des „Grundeinkommens“ von Köhler. Das FDP-„Bürgergeld“ bewegt sich auf dem Sozialhilfeniveau, ist nicht die Existenz und Teilnahme sichernd. Es ist außerdem mit einer Arbeitsverpflichtung verbunden – wie beim Arbeitslosengeld II werden die Leistungen bis zu 60 Prozent gekürzt, wenn eine zumutbare Arbeit abgelehnt wird. Sein „Grundeinkommen“ birgt Risiken, sagt Köhler: „vom erschlichenen Missbrauch bis zur Schwarzarbeit“. Es kann also auch kein BGE sein, denn mit diesem gibt es keinen Missbrauchsvorwurf – weil es eben jede/r bekommt, bedingungslos. Köhler hat nichts Konkretes über die Höhe seines „Einkommens“ gesagt, hat aber auch niemals gegen die Armut durch Hartz IV protestiert! Das FDP-„Bürgergeld“ und Köhlers „Grundeinkommen“ befördern die Ausweitung eines Niedriglohnsektors durch eine Kombination von niedrigen Löhnen und niedrigen staatlichen Transfers (= Kombi-Lohn, so wie er im Koalitionsvertrag beschrieben steht). Das die Existenz sichernde BGE schließt nicht nur die sozialadministrativ erzwungene, sondern auch die durch Armut (niedrige Sozialtransfers) erzwungene Annahme von Arbeit, erst recht von niedrig entlohnter Arbeit, aus. Aus diesem Grund ist das BGE, anders als Christa Luft meint, den vielen Menschen mit niedrigen Erwerbseinkommen sehr gut vermittelbar – weil es eben die Erpressbarkeit der Erwerbsabhängigen, einen niedrig entlohnten Job aus der Not heraus oder aufgrund des sozialadministrativen Arbeitszwanges annehmen zu müssen, vollkommen aufhebt. Und gekoppelt mit einem gesetzlichen Mindestlohn, wie es Katja Kipping vorschlägt, erst recht.
Zweitens: Im Unterschied zum Köhler-Vorschlag steht das BGE nicht nur Erwerbslosen zu bzw. ist ein Aufstockbetrag für Niedrigeinkommen, wie Christa Luft meint. Da es eben allen zusteht, führt das BGE auch nicht dazu, dass ein Teil der Bevölkerung das Grundeinkommen erhält und ein anderer Teil „das BIP zusammenkratzen und auch auf Dauer mit voller Belastung im Produktionsprozess bleiben“ (Klaus Wiesehügel) muss. Im Gegenteil: Das auch allen Erwerbstätigen zustehende BGE reizt – zumindest die Normal- und Hochverdiener – zum weniger Arbeiten und zum Teilen von Arbeitsplätzen an, weil es einen garantierten Lohnersatz für die gekürzte Arbeitszeit bietet. Die Notwendigkeit dieser Anreizfunktion hatte schon 2002 der DGB-Chef Michael Sommer erkannt: „Die Arbeitnehmer brauchen stärkere Anreize als bisher, in Teilzeit zu gehen oder auch einmal für zwei, drei Jahre eine Auszeit aus dem Berufsleben zu nehmen, um sich weiter zu bilden, um zu reisen, um neue Energie aufzutanken oder um sich stärker der Kindererziehung zu widmen … Wer eine Auszeit aus dem Berufsleben nehmen will, der sollte ein steuerfinanziertes einheitliches Grundeinkommen erhalten, damit er ausreichend abgesichert ist und sein Lebensmodell verwirklichen kann.“ (Partiell) Aussteigen aus der Arbeit, um das eigene Lebensmodell zu verwirklichen – und damit andere, die es wollen, arbeiten können. Ein arbeitsunabhängiges Grundeinkommen ist also eine Prämie für solidarisches und selbst bestimmtes Tun und Lassen! Weiter meint Sommer, dass das Grundeinkommen „auch jenem Drittel unserer Gesellschaft helfen (soll), das droht, aus dem sozialen Zusammenhalt hinaus gedrängt zu werden.“ Fehlt nur noch die Forderung nach einer alle Bevölkerungsgruppen umfassenden Einführung des Armut verhindernden und arbeitsunabhängigen Grundeinkommens, dann wäre Sommer beim BGE.
Drittens: Das BGE sei nicht finanzierbar bzw. die gesamtgesellschaftliche Transfersumme ist so hoch, dass sie derzeit nicht vermittelbar sei, meint Christa Luft. Die Finanzierbarkeit des BGE ist aber längst durch die BAG der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen und andere Experten nachgewiesen. Die BAG Grundeinkommen in und bei der Linkspartei legt demnächst ebenfalls ein Finanzierungskonzept für ein BGE vor. Und was die Vermittelbarkeit des jährlichen dreistelligen Euro-Milliardenbetrages zur Finanzierung des BGE anbelangt: Die Summe aller Sozialausgaben in der Bundesrepublik Deutschland beträgt derzeit jährlich rund 700 Milliarden Euro! Man bedenke: Das BGE ersetzt einige steuerfinanzierte Sozialleistungen (z. B. Kinder- und Erziehungsgeld, BAföG, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Ältere und Erwerbsgeminderte sowie die Sozialhilfe) und baut enorm viel unnötige Sozialbürokratie ab. Und neben diesen Einsparungen gibt es noch allerhand bei Vermögenden, Einkommensreichen und über eine Wertschöpfungsabgabe zu holen.
Fazit: Im Gegensatz zu neoliberalen und staatsautoritären Vorstellungen von Grund- und Mindestsicherungen liegt es in der Absicht des BGE, dass die Individuen weitgehend der Verfügbarkeit des kontrollierenden Staates und des (Arbeits-)Marktes entzogen sind. Das BGE ermöglicht jedem Menschen maximale Freiheiten bei der Wahl der partnerschaftlichen und kooperativen Bindungen, der Tätigkeitsbereiche und der zeitlichen Abfolge von Tätigkeiten und Muße. Es verweist auf die freie Entwicklung jeder und jedes Einzelnen als Maß von Gleichheit und Solidarität im Gemeinwesen. Das BGE ist somit ein herausragender Teil eines linksemanzipatorischen Gesamtkonzepts der gesellschaftlichen Transformation.